Agiles Arbeiten als Führungskraft: Zwischen Gestalten und Loslassen
Vor vier Wochen kam ein Kollge aus meinem Team mit einem Vorschlag zum Umbau unseres Boards zu mir. Er hatte einen tollen Plan, wie ein neues Board viel besser unsere aktuelle Arbeitsweise reflektiert. Ich hab mich sehr darüber gefreut.
Eine Idee, die ich nie gehabt hätte. Warum nicht? Weil ich in meiner Rolle viel weiter weg von den Details der Prozesse bin als ein Teammitglied. Gemeinsam haben wir das Board umgebaut und Stories und Tasks migriert. Seit wir das neue Board nutzen, ist klar zu sehen, dass die Umstellung eine große Hilfe für uns ist.
Dieses Beispiel möchte ich zum Anlass nehmen, das Thema Führung und agiles Arbeiten in der Praxis in diesem Artikel zu beleuchten.
Agiles Arbeiten aus Führungssicht
Agiles Arbeiten ist eine Denkweise, die Freiheit, Selbstorganisation und Eigenverantwortung ins Zentrum rückt. Klingt logisch? Ja.
Doch was heißt das für eine Führungskraft? Für mich bedeutet es, den Spagat zwischen Gestalten und Loslassen zu meistern. Als jemand, der von Natur aus gerne steuert, ist das nicht immer einfach. Und trotzdem: Wie das Beispiel oben zeigt, sind die Ergebnisse der Selbstorganisation des Teams oft besser, als das, was ich mir im bessen Sinne überlegen könnte. Allein deswegen ist es so unheimlich wichtig, Menschen zu fördern und eine offene Feedback- und Vertrauens-Kultur zu pflegen.
Einleitung: Agiles Arbeiten und meine Rolle
Wenn es um agiles Arbeiten geht, finde ich mich oft in einer Rolle wieder, die im Spannungsfeld zwischen Gestaltung und Zurückhaltung liegt. Ich möchte unterstützen, inspirieren, und manchmal auch lenken. Doch immer wieder merke ich, dass ich mich selbst austrickse, wenn ich zu sehr eingreife. Die Folge: Das Team wird eingeschränkt, Freiräume verschwinden, und damit leidet nicht nur die Zusammenarbeit, sondern auch der Erfolg der gesamten Firma.
Führung im agilen Kontext ist anders. Sie verlangt nicht, alles zu bestimmen, sondern stattdessen den Mut, Verantwortung in einem gesteckten Rahmen abzugeben. Und genau das möchte ich in diesem Artikel reflektieren: Wie ich diesen Rahmen setze und wie ich das Team zur Selbstorganisation befähige.
Was bedeutet Führung im agilen Kontext?
Führung im agilen Kontext ist keine Einbahnstraße. Es geht nicht darum, Vorgaben zu machen und Ergebnisse abzuwarten. Vielmehr ist es eine Einladung, gemeinsam zu gestalten.
Was agile Führung nicht bedeutet:
- Alles vorzugeben
- Mikromanagement zu betreiben
- Entscheidungen allein zu treffen
Stattdessen steht die Frage im Raum: Wie schaffe ich Strukturen, die es dem Team ermöglichen, eigenständig zu arbeiten?
Rahmen setzen: Grenzen und Freiheiten
Agilität bedeutet nicht Chaos oder Beliebigkeit. Ohne klare Rahmenbedingungen kann kein Team effizient arbeiten. Deshalb habe ich gelernt, wie wichtig es ist, die Grenzen, innerhalb derer das Team agieren kann, klar zu kommunizieren.
Im obigen Beispiel wäre z.B. eine konkrete Grenze, die Software, mit der wir unsere Boards abbilden (ja, Jira...). Keine Grenze ist, wie ein Board aussieht und welche Prozessschritte wie abgebildet sind.
Grenzen oder Rahmen geben dabei Sicherheit. Wichtig ist mir auch: Über diese Grenzen regelmäßig sprechen. Vielleicht sind sie zu verändern? Dabei helfen mir unter anderem die One-on-One Gespräche, die ich mit allen Teammitgliedern habe.
Was tun, wenn das Team nicht will?
Nicht jedes Teammitglied ist von Anfang an begeistert von der Eigenverantwortung. Was tun, wenn Widerstand auftritt?
- Fordern statt Überfordern: Ich fordere das Team heraus, Verantwortung zu übernehmen, ohne sie zu überfordern. Ich biete meine Unterstützung an, ohne mich aufzudrängen. Und ich weiß: Nicht jeder Mensch kann oder will in jeder Situation gestalten. Und das ist ok.
- Grenzen und Freiräume klar kommunizieren: Je klarer der Rahmen, desto einfacher fällt es, darin zu agieren. Es ist - wie oben schon besprochen - meine Aufgabe, den Rahmen vorzugeben.
Elastic Leadership: Ein flexibler Ansatz
Ein Konzept, das mich besonders inspiriert hat, ist das der Elastic Leadership (Reminder an mich selbst: Podcast Folge darüber machen). Es beschreibt die Fähigkeit, den Führungsstil an die Bedürfnisse des Teams und die jeweilige Situation anzupassen.
- Anleitung und Coaching: Bei neuen Teams oder in Krisensituationen führe ich stärker an.
- Fördern und Begleiten: Wenn das Team stabiler wird, ziehe ich mich bewusst zurück und gebe Freiräume.
- Loslassen: Ein erfahrenes Team benötigt kaum noch direkte Führung. Hier werde ich zu einem Unterstützer, der nur bei Bedarf eingreift.
Diese Flexibilität ermöglicht es mir, das Beste aus meinem Team herauszuholen, ohne es zu bevormunden und auch situationsbedingt zu führen. Mir ist es immer wichtig, das Team nicht alleine zu lassen. Eine schwierige Abwägung zwischen Bevormundung und unterlassener Hilfeleistung. Aber niemand hat jemals gesagt, dass agil arbeiten einfach ist.
Herausforderungen und Selbstreflexion
Natürlich gibt es Momente, in denen ich in alte Muster zurückfalle. Vielleicht liegt es an der Sorge, die Kontrolle zu verlieren, oder an einem inneren Drang, alles „richtig“ machen zu wollen oder das Team nicht alleine lassen zu wollen.
Typische Herausforderungen:
- Mikromanagement: Der Impuls, ständig nachzuhaken, ist schwer zu überwinden.
- Ungeduld: Manchmal möchte ich schneller Ergebnisse sehen, als das Team liefern kann.
- Unsicherheit: Loslassen erfordert Vertrauen – nicht nur in das Team, sondern auch in mich selbst.
Meine Strategien:
- Ich reflektiere regelmäßig mein eigenes Verhalten
- Ich bespreche meine Führungsansätze offen mit dem Team und anderen in ähnlichen Rollen, um Feedback zu erhalten.
Der Wert der regelmäßigen Kommunikation
Eines der wichtigsten Elemente agiler Führung ist die Kommunikation. Regelmäßige Gespräche, sei es in One-on-Ones oder im Team, helfen mir, den Rahmen zu stärken und das Vertrauen zu vertiefen.
One-on-One-Gespräche:
- Sie schaffen Raum für individuelle Anliegen und Feedback.
- Sie sind eine Chance, Herausforderungen frühzeitig zu erkennen.
Offene Teamkommunikation:
- Die berühmte "Offene Tür"
- Regelmäßige Retrospektiven fördern die Reflexion über den Arbeitsprozess.
- Transparenz in der Kommunikation sorgt für ein gemeinsames Verständnis von Zielen und Rahmenbedingungen.
Fallstricke und wie ich sie überwinde
Auch mit den besten Absichten gibt es Fallstricke. Hier sind einige, die ich erlebt habe, und wie ich damit umgehe:
- Zu viel Kontrolle: Anfangs hatte ich Schwierigkeiten, wirklich loszulassen. Heute weiß ich, dass es der einzige Weg ist. Und die oben besprochenen Grenzen helfen nicht nur dem Team sondern auch mir.
- Widerstand im Team: Nicht jeder ist sofort bereit, Verantwortung zu übernehmen. In solchen Fällen habe ich gelernt, geduldig zu sein und klar zu kommunizieren, was ich erwarte.
Praktische Tipps für Führungskräfte
- Definiere klare Rahmenbedingungen: Ohne klare Grenzen ist agile Arbeit schwer umsetzbar.
- Kommuniziere offen und regelmäßig: Das Team braucht Transparenz und Gelegenheiten für Feedback.
- Nutze Werkzeuge: Tools wie One-on-One oder Retrospektiven erleichtern die Führung erheblich.
- Fordere und fördere: Unterstütze das Team, ohne es zu kontrollieren.
- Sei geduldig: Agiles Arbeiten erfordert Zeit und Anpassung.
Meine größten Learnings als Führungskraft
Rückblickend gibt es einige zentrale Erkenntnisse, die mich geprägt haben:
- Das Team ist der Schlüssel: Vertrauen ist die Grundlage für jede Form von Erfolg.
- Führung ist ein Lernprozess: Agilität erfordert ständige Selbstreflexion.
- Rahmen statt Kontrolle: Klare Grenzen schaffen die Freiheit, die das Team braucht.
Fazit: Mein persönlicher Blick auf Führung
Ich bin kein Bestimmer. Stattdessen sehe ich meine Rolle darin, einen Rahmen zu schaffen, der das Team stärkt und es befähigt, eigenständig zu arbeiten. Agiles Arbeiten ist ein Balanceakt zwischen Führung und Loslassen, der viel Vertrauen und Geduld erfordert. Doch die Ergebnisse – ein starkes, selbstbewusstes Team und bessere Zusammenarbeit – sind die Mühe wert.